Freitag, 25. Mai 2012

Situationsbetrachtung Staatsschulden/Währungskrise

1. Staatsverschuldung hoch in USA, UK, Japan, in vielen Euroländern in % vom GDP + aktuell in vielen dieser Länder voraussichtlich weitere Staatsdefizite in 2012 und 2013, also erst mal kein Abbau möglich in % vom GDP

http://www.tradingeconomics.com/germany/government-debt-to-gdp (Basis Eurostat)

gov.d. in% GDP                   2009            2010             2011            2012 (est.?)

Deutschland:                              66,7          74,4              83,0            81,2
Griechenland                            113           129,4            145             165,3
Portugal                                     71,6         83,1              93,3          107,8
Spanien                                     40,2         53,9              61,2            68,5
Italien                                      105,7       116,0            118,6          120,1
Frankreich                                 68,2         79,2              82,3            85,8
USA                                          69,4          84,2             93,2           107      Bureau of Public Debt, 2012:NZZ/IMF
UK                                            54,4          69,6             79,6             85,7
Japan                                       195,0        216,3           220,3                        IMF

2. im Hinblick auf 1. möglicherweise zu niedriges reales Wachstum bzw Rezession. Es ist fraglich wo und ob geldpolitische und/oder fiskalpolitische Impulse noch einsetzbar sind (Inflationsgefahr, Vertrauensverluste ggü. Staatsdefiziten) bzw. etwas bringen würden (bei mangelndem Verbrauchervertrauen bleibt der Konsum niedrig, bei mangelndem Unternehmensvertrauen bleiben die Investitionen niedrig). ABER: Es ist möglich, daß das hohe Wirtschaftswachstum der Schwellenländer und Wohlstandssteigerungen durch Innovationen (systeminhärentes Wachstumspotential der freien Marktwirtschaft) einzeln oder in Summe aussreichen, daß das GDP in obigen Ländern trotzdem real über viele Jahre so weiter wächst, daß die Staatsverschuldung in % vom GDP deutlich abgebaut werden kann (ich persönlich bin diesbezüglich skeptisch, kann diese Effekte aber nicht quantifizieren. Irgendwo habe ich gelesen, dass vor Einführung des Buchdrucks, das handschriftliche Anfertigen einer Bibel den Gegenwert von 2 Fachwerkhäusern hatte. Seitdem denke ich, daß man den Wohlstandseffekt durch technische Innovationen nicht unterschätzen sollte.)

GDP annual growth rate    2011       2012
Deutschland:                    ca 3%      ca. 2%   Bundesamt für Statistik http://www.tradingeconomics.com/germany/gdp-growth-annual
Griechenland                   < - 5%     < - 5%   Hellenic Statistic. http://www.tradingeconomics.com/greece/gdp-growth-annual
Portugal                         ca. - 2%   ca. - 2%   Instit.Nat.de.St. http://www.tradingeconomics.com/portugal/gdp-growth-annual
Spanien                            < 1%    negativ      INE http://www.tradingeconomics.com/spain/gdp-growth-annual
Italien                              < 2%     negativ      ISTAT http://www.tradingeconomics.com/italy/gdp-growth-annual
Frankreich                   ca. 1,8%    ca. 0,2%   INSEE http://www.tradingeconomics.com/france/gdp-growth-annual
USA                           ca. 2%         ca. 2%      Bureau of econom.analysis http://www.tradingeconomics.com/united-states/gdp-growth-annual
UK                              ca. 2%        ca. 2%      wie usa http://www.tradingeconomics.com/united-kingdom/gdp-growth-annual
Japan                           ca. 0%        ca 2%      The Cabinet office http://www.tradingeconomics.com/japan/gdp-growth-annual

Konsumentenvertrauen
Deutschland   leicht über mittel http://www.tradingeconomics.com/germany/consumer-confidence
Spain              sehr niedrig http://www.tradingeconomics.com/spain/consumer-confidence
Italien             niedrig  http://www.tradingeconomics.com/italy/consumer-confidence
Japan              mittel  http://www.tradingeconomics.com/japan/consumer-confidence
UK                 sehr niedrig http://www.tradingeconomics.com/united-kingdom/consumer-confidence
US                  relativ niedrig http://www.tradingeconomics.com/united-states/consumer-confidence
China              relativ niedrig http://www.tradingeconomics.com/china/consumer-confidence
Brasilien         sehr hoch ! http://www.tradingeconomics.com/china/consumer-confidence
Mexico           ziemlich hoch http://www.tradingeconomics.com/mexico/consumer-confidence
Indonesien      relat.hoch http://www.tradingeconomics.com/indonesia/consumer-confidence

3. Leistungsbilanzdefizite in USA und Südeuropa können zahlungsbilanztechnisch nur über Kapitalimporte ausgeglichen werden. (Wenn diese aber plötzlich ausbleiben muss auch das Leistungsbilanzdefizit abgebaut werden: Falls nicht mehr exportiert werden kann muß weniger importiert werden oder FRAGE falls das nicht geht, ganz schnell ganz viel zusätzliches Geld geschaffen werden [Kauf von Staatsanleihen durch die FED/Inflationsgefahr]) Hintergrund: Bezüglich der USA (auch Europa?) kauft China Devisen um exportieren zu können, indem es die eigene Währung künstlich schwächt. Außerdem gibt es Länder wie Saudiarabien, die ebenfalls nicht aus volkswirtschaftlichen sondern aus politischem Kalkül Kapital in die USA exportieren. Damit kann ein volkswirtschaftlicher Regelmechanismus/Zusammenhang gestört werden aber nach meiner Einschätzung nicht dauerhaft ignoriert werden. Die Frage ist ob es aus dieser Störung eine moderate Korrektur geben kann. China würde peu a peu aufwerten und sein Wirtschaftswachstum mehr und mehr aus internem Konsum ziehen. (die USA abwerten und mehr exportieren). Oder ob es zu einem Kollaps kommt. China würde aprupt US Staatsanleihen verkaufen (oder die USA Staatsanleih. in chinesicher Hand offiziell nicht zurückzahlen), in Saudiarabien käme es doch zu einem Politikwechsel.

Current account by country (Leistungsbilanz)

Griechenland     neg.        http://www.tradingeconomics.com/portugal/balance-of-trade
Portugal             neg.        http://www.tradingeconomics.com/portugal/current-account
Spanien             neg.         http://www.tradingeconomics.com/spain/current-account
Italien                neg.        http://www.tradingeconomics.com/italy/current-account
Frankreich         neg.!        http://www.tradingeconomics.com/france/current-account
USA                  neg.         http://www.tradingeconomics.com/united-states/current-account
UK                    neg.         http://www.tradingeconomics.com/united-kingdom/current-account
Japan               positiv      http://www.tradingeconomics.com/japan/current-account

Balance of trade by country (Handelsbilanz)

Griechenland     neg.      http://www.tradingeconomics.com/portugal/balance-of-trade
Portugal        leicht neg.  http://www.tradingeconomics.com/portugal/balance-of-trade
Spanien             neg.        http://www.tradingeconomics.com/spain/balance-of-trade
Italien                pos.        http://www.tradingeconomics.com/italy/balance-of-trade
Frankreich         neg.       http://www.tradingeconomics.com/france/balance-of-trade
USA                  neg.       http://www.tradingeconomics.com/united-states/balance-of-trade
UK                    neg.       http://www.tradingeconomics.com/united-kingdom/balance-of-trade
Japan             ca. 0          http://www.tradingeconomics.com/japan/balance-of-trade

4. In Südeuropa besteht die Problematik, daß im Vergleich zu Kerneuropa geringe Wettbewerbsfähigkeit nicht durch eine Währungsabwertung ausgeglichen werden kann. (Der Euro kann aber insgesamt nach aussen abwerten). Alternativen wäre Senkung der Produktionskosten in Südeuropa durch massive Lohnsenkungen - dem stünde massiver Widerstand der Bevölkerung entgegen - und/oder massive Lohnerhöhungen bei uns mit gleichzeitiger Abwertung des Euro: Wir würden quasi in den allgemeinen Abwertungswettlauf einsteigen. Auch dies könnte wohl in der Praxis nur moderat eingesetzt werden. Eine dauerhafte Transferunion läßt sich ebenfalls politisch wohl kaum durchsetzen (zum Glück). Falls diese drei parallel nutzbaren Optionen scheitern, bliebe für die betroffenen Länder nur die vierte Möglichkeit der Wiedereinführung von nationalen Währungen parallel zum Euro. Intuitiv bin ich mir ziemlich sicher, dass es dazu kommen wird und zwar nicht nur in Griechenland sondern auch in Portugal und ich vermute ebenfalls in Spanien.

Wirtschaftspolitisch hiese das:
- keine zusätzlichen Bailoutprogramme durch Deutschland,
- Beibehaltung der Ziele mittelfristig die Staatsverschuldung in Deutschland auf das
Niveau der Maastrichtkriterien zurückzuführen (60%)
- Befürwortung von moderaten Lohnsteigerungen wie sie derzeit von den Tarifparteien
angegangen werden, fairen Löhnen im Bereich Zeitarbeit
- allenfalls moderate Konjukturprogramme
- ggf. nutzen des ESM statt für Kauf von Staatsanleihen strauchelnder Staaten zur Finanzausstattung von wichtigen insolventen Banken mit öffentlichem Interesse (Kreditgeber für den Mittelstand), siehe Artikel Professor Harald Hau und Professor Bernd Lucke http://www.wiso.uni-hamburg.de/lucke/wp-content/uploads/2011/04/Hau-Lucke-Alternative-zum-Rettungsschirm-FAZ-16.9.11.pdf.

außerdem schlage ich vor:
- Förderung von Wirtschaftswachstum über Innovation durch gute Bildungssysteme, Förderung von Grundlagenforschung und Förderung von Technologie-Start-Ups mit Kapital wie in der Schweiz
- die Einführung einer Finanztransaktionssteuer wie im ZEIT-Artikelhttp://www.zeit.de/2012/07/Finanzmarkt-Steuer beschrieben

Alternative Deutschland geht raus aus dem Euro:
Dies scheint mir aus politischen Gründen nicht sinnvoll. Dadurch würden wir uns von unserem wichtigsten Partner Frankreich aber auch den Interessen unsere anderen wichtigen Partner in Europa und USA isolieren. Volkswirtschaftlich überwögen die Vorteile die Nachteile nach meiner Einschätzung wenn es so gestaltet werden kann, dass die bisher aufgelaufenen Staatsschulden einschließlich der Rettungsprogramme weiter in Euro lauten: dauerhaft stabile Währung, zwar Rückgang des Handelsbilanzüberschusses aber Möglichkeit dies bei den Produktionskosten und im Konsum durch niedrigere Importpreise abzufedern (Energie). (Vorbild, Schweiz, Norwegen, Dänemark, Neuseeland). Folgt man der Argumentation Professor Flassbecks http://www.zeit.de/2012/07/Finanzmarkt-Steuer, dass Südeuropa nur geholfen werden kann, wenn Deutschland um circa 20-30% aufwertet, würde dies sehr schnell erreicht.

Insgesamt hilfreich finde ich neben dem Vortrag von Professor Flassbeck den Vortrag von Professor Hans-Werner Sinn http://www.youtube.com/watch?v=OGGDl_eJte8&feature=related und den Monatsbericht Mai der Deutschen Bundewsbank http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Monatsberichte/2012/2012_05_monatsbericht.pdf?__blob=publicationFile

5. Weiterhin problematisch sind die zunehmenden Unterschiede in der Einkommens-und Vermögensverteilung in Deutschland (insgesamt aber siehe auch Billiglöhne, 1-Euro-Jobber), siehe auch Reichtumsforschung. Vielverspechend n.m.E. die Verbesserung der Löhne im Bereich Zeitarbeit http://www.tagesschau.de/wirtschaft/leiharbeiter108.html; hier würde ich bei der Erbschaftsteuer ansetzen und die Freibeträge an die Inflation anpassen, darüber hinaus aber die Sätze erhöhen und dafür werben, dass Nachbarländer in eine ähnliche Richtung gehen (Österreich bisher keine Erb.steuer).

6. Ich halte es für sehr gut möglich, daß es langfristige Zyklen von ca. 70-100 Jahren gibt, in denen sich Phasen von Wachstum und Verfall, ausgeprägtem Individualismus und stärkerem Zusammenhalt etc. abwechseln, und dass die Menschen instinktiv spüren, wenn ein Wechsel kommt bzw. sogar das Gefühl haben, dass er an der Zeit ist.

7. Darüber hinaus ist es ebenfalls möglich, dass wir an einer noch langfristigeren Zeitenwende stehen und sich nach den Phasen des Feudalismus, der kapitalistischen Bürgergesellschaft eine neues Gesellschaftssystem ausbildet, dass z.B. kooperativer, basisdemokratischer und bewusster ist. Geht BGE in diese Richtung?

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