Mittwoch, 19. September 2012

Pragmatismus versus Konstruktivismus

Ergänzend zu meinen Feststellungen vom 12.09.2012 hat das Urteil des BVerG eine noch tiefergehende Bedeutung:

Wie an anderer Stelle noch näher auszuführen gibt es in Europa unterschiedliche Politikstile, die auf unterschiedlichen Ansätzen der politischen Philosophie der jeweiligen Länder basieren. In Deutschland wird über einen stark von Kant geprägten "Konstruktivismus", der die Welt im Schillerschen Sinn geistig vorweg nimmt, ein Ideal gestaltet und versucht dieses umzusetzen. In Frankreich und England und möglicherweise auch in Südeuropa dominiert ein Pragmatismus, der schaut wie die Verhältnissen sind und wie sie im Sinne der jeweiligen Interessen verändert werden können, wenn man die Erfahrungen der Vergangenheit berücksichtigt.

Mein bisheriger Stand war der, dass durch die europäische Integration die Notwendigkeit und die Chance besteht, beide Ansätze zu einer Synthese zu integrieren und dass auf dieser Basis eine bessere politische Praxis entstehen könnte.

Das BVGer ist bisher von seinem Grundverständnis und auch mit seinen Positionen zur Europäischen Integration sehr vom deutschen Konstruktivismus geprägt.

Wie das Urteil zeigt, kann es diese Linie aber in der aktuellen Konstellation nicht aufrecht erhalten. Das bedeutet, dass es wohl weniger zu einer Synthese dieser Politikstile kommt, sondern es wahrscheinlicher ist, dass Deutschland seine Kultur Politik zu gestalten auf der europäischen Ebene aufgeben oder zumindest stark anpassen muss. Es wäre dann naiv für deutsche Parteien anzunehmen, dass sie zum Beispiel in Europa gemeinsam mit den Partnern politische Instiutionen aufbauen können (europäische Verfassung, Europäischer Verfassungsgerichtshof), der anolog zur deutschen Situation durch einen starken Konstitutionalismus geprägt ist. Analog zu der von mir am 12.09. beschriebenen Situation des Euro, der nach derzeitigem Ermessen wohl zur Weichwährung wird,  wären auch eine Europäische Verfassung und eine europäische Verfassungsgerichtsbarkeit stärker der Politik untergeordnet und damit defakto pragmatisch ausgerichtet. Hier hat sich das BVerG bereits eingeordnet.

Beleg:

siehe zum Beispiel hier

http://www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/1864919/

Auszug:

ZITAT: "Ich denke, dass sicherlich in sehr vielen Mitgliedsstaaten, das hängt auch sehr stark von ihrer Prägung ab, vielleicht auch der französische Rechtskreis, das französische Verständnis von Recht und Politik, das ist ja nicht nur in Frankreich, sind ja auch andere Mitgliedsstaaten, die so ticken dann, doch der Primat des Politischen höher ist, und deshalb diese starke Verrechtlichung, für die das Verfassungsgericht ja steht, mit einem Stirnrunzeln gesehen wird"

, sagt Frank Schorkopf, Völker- und Europarechtsprofessor von der Universität Göttingen.

"Ich habe das selbst mal erlebt, dass dann französische Juristen sagen: Wenn es einen politischen Konsens gibt, wo ist dann das Problem? Dann wird das Recht eben geändert und angepasst."

In Deutschland ist man gewohnt, die Politik als ein Produkt der Verfassung zu sehen. In den meisten anderen Ländern ist es eher umgekehrt: Die Verfassung ist ein Produkt der Politik.  ZITAT ENDE

link zum Konstruktivisums in der Politikwissenschaft:
http://www.blogger.com/blogger.g?blogID=1515654764863071672#editor/target=post;postID=7759830528328212971
link zum Konstitutionalismus:
http://de.wikipedia.org/wiki/Konstitutionalismus

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