Mittwoch, 19. November 2014

Soll die Ukraine bzw. die Westukraine in die EU?

Der Schriftsteller Juri Andruchowytsch, eine Teilnehmer der Kiewer Euroomaidanbewegung schildert heute in der FAZ eindrucksvoll, wie im Kampf für Freiheit in Gleichheit die EU-Fahne für viele Euromaidanaktivisten Symbol dieser Werte ist, ganz im Gegensatz zu vielen Zentral-und Westeuropäern, die damit eher Bürokratie und Geldfragen verbinden (sein Beispiel: spanische Bauern verbrennen die EU-Fahne aus Prostest gegen Exportverbote von Obst nach Russland).

Das ist ein echtes Dilemma. Überspitzt formuliert, die besten Europäer sitzen in Kiev und Lemberg :)

Historisch ist das verständlich, da zum Beispiel die Franzosen Freiheit und Gleichheit eher mit Frankreich als mit Europa verbinden, da sie das ja in ihrer Revolution so als erste in die Welt gesetzt haben und Großbritannien hat schon eine sehr lange demokratische und multinationale Geschichte, so daß sie dafür nicht die europäische Ebene benötigen. Attraktiv bleibt ein werteorientiertes politisch vereintes Europa neben Ländern wie Polen oder die Westukraine vor allem für Deuschtland, da wir durch den Nationalsozialismus und den Holocaust gegenüber den Werten Freiheit in Gleichheit als Nation vollständig versagt haben und deshalb lieber in einem breiter aufgestellten politischen Gemeinwesen aufgehen würden.

Der Kern dieser Idee Europa wäre damit Freiheit in Gleichheit und der hätte in der Tat globale Bedeutung und würde quasi im Geiste alle als "Europäer" verbinden, die so denken bzw. die diese Werte für zentral halten.

Andruchowytsch ist frustriert, daß die EU nach seinem Empfinden der Ukraine die kalte Schulter zeigt und erhofft sich mehr Unterstützung gegenüber Russland, das er als Hort der Unfreiheit erlebt. Aber auch in Russland wird es viele Menschen geben, die gerne in Freiheit und Gleichheit leben wollen.

Mein Vorschlag:

Die Werte Freiheit in Gleichheit sind wirklich zentral und sollten den Kern eines Vereinten Europa bilden, sie sind aber nicht exklusiv europäisch, sondern es ist immer erfreulich, wenn sie sich auf der Welt durchsetzen.

Nach meiner Einschätzung wird es in der Urkaine zu einer Trennung eines prorussichen Teils und eines prowestlichen Teils kommen, sodaß die Ukraine in Zukunft keine "Ausgleichszone" bilden kann. Das ist aber auch nicht erforderlich, denn für so groß halte ich die Unterschiede in den Wertvorstellungen der russischen und der zentraleuropäischen Gesellschaften auch nicht. Mit seiner Werteorientierung könnte die Westukraine ein bereichernder Teil eines wertebasierten politisch vereinten Europas sein.

Es sollte aber auch klar sein, daß eine geistige Verbundenheit in Bezug auf die Wertschätzung von Freiheit in Gleichheit unabhängig von staatlichen Strukturen möglich ist und langfristig mehrere Regionen/Staaten existieren werden, die diese Werte teilen. 

Montag, 17. November 2014

Ist ein Weltstaat eine Option für die Zukunft?

Auf der Diskussions-Mailingliste der AG-Europa der Piratenpartei Deutschland http://wiki.piratenpartei.de/AG_Europa/Mitmachen kam immer mal wieder die Idee eines Weltstaates als Alternative für die jetzige Europäische Union oder für einen Europäischen Bundesstaat zur Sprache. Da die Piraten sich als transnationale Bewegung verstehen, könnte man auf den Gedanken kommen, daß ein Weltstaat dazu gut passen würde.

Mir war nie wohl bei dem Gedanken, sodaß ich mich etwas näher damit befasst habe. Grundsätzlich finde ich es bedenklich, die politische Macht der Menschen des ganzen Planeten Erde in einem Staat zu bündeln. Ich sehe die Gefahr, daß - sollte es zu einer Diktatur kommen -, der ganze Planet betroffen wäre und es keine Regionen mehr gäbe, von denen eine demokratische Gegenbewegung eine stabile Ausgangsbasis hätte. Selbst bei der von George Orwell in seinem dystopischen Roman “1984” beschriebenen Überwachungsdiktatur war diese globale Ominpräsenz der Unfreiheit nicht erreicht http://de.wikipedia.org/wiki/1984_%28Roman%29.

Ein Gegenargument ist, daß die räumliche Dimension in Zeiten des Internet sowieso egal ist und daß sich Gegenbewegungen genauso leicht innerhalb der räumlichen Ausdehnung einer Diktatur organisieren und zum Erfolg führen liesen. Solange sich Staaten jedoch physisch definieren http://de.wikipedia.org/wiki/Staat , was meiner Meinung nach auch in Zukunft Sinn macht, würde ich auf den Vorteil nicht verzichten wollen, sich gegen physische Zugriffe einer Diktatur durch einen souveränen Staat schützen zu können. Im Kontext Europas ist das ein Argument für einen eigenständigen europäischen Bundesstaat als Machtpol in einer multipolaren Welt.

Bei den Piraten kam im Europawahlkampf die Aussage Europa als Idee zu verstehen und nicht als geographische Region, die es demokratisch optimal zu gestalten gilt. Die Idee Europa könnte man zum Beispiel verstehen als eine auf den Menschenrechten basierte Demokratie, die neben individuellen Freiheiten sich auch als Sozialstaat versteht und seine Verantwortung für künftige  Generationen und den Planeten insgesamt (Nachhaltigkeit) sieht. Sollte diese Idee mehr und mehr Anhänger finden, könnte sie grundsätzlich auch über die geographischen Grenzen Europas hinauswachsen und eine europäische Union  in weiter Zukunft zum Beispiel ganz Russland bis an den Pazifik und ganz Afrika umfassen. Sie wäre damit vielleicht die Keimzelle eines Weltstaates.

Obwohl ich ein demokratisches, freiheitliches, soziales und nachhaltiges Europa möchte, stört mich der globale Anspruch bzw. die Einschätzung die beste Lösung für die ganze Welt bereit zu halten. Überspitzt und in Anlehnung an Kaiser Wilhelm II mit seinem Leitspruch “Am deutschen Wesen soll die Welt genesen” (ursprünglich aus einem Gedicht von Emanuel Geibel) gälte damit am “Europäischen Wesen soll die Welt genesen“.  Mein Ansatz wäre eher den demokratischen Kräften in anderen Weltregionen zu vertrauen, den für sie sinnvollen Weg selbst zu finden und sich gegenseitig dabei zu unterstützen, nicht zuletzt vor dem historischen Hintergrund, daß es nicht die Europäer sondern die Nordamerikaner waren, die als erstes eine auf den Menschenrechten basierende neuzeitliche Demokratie schufen (wenn auch eine mit sehr großen Fehlern behaftete, da die Sklaverei erst 1865 nach dem Bürgerkrieg abgeschafft wurde siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Sklaverei_in_den_Vereinigten_Staaten#Sezessionskrieg_und_Abschaffung_der_Sklaverei und das allgemeine Wahlrecht erst 1920 siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Frauenwahlrecht eingeführt wurde).

Gibt es Argumente aus der politischen Philosophie/Staatslehre, die für oder gegen einen Weltstaat sprechen?

Ein zentraler Aspekt ist dabei nach meiner Meinung das staatstheoretische Konzept der Gewaltenteilung von John Locke  und Montesquieu http://de.wikipedia.org/wiki/Gewaltenteilung als zentraler Baustein für funktionierende Demokratien. Neben der horizontalen Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative gibt es auch die Idee der vertikalen Gewaltenteilung, also der Verteilung der rechtlichen Kompetenzen innerhalb eines Bundesstaates und/oder zwischen kommunaler und zentralstaatlicher Ebene.

Grundsätzlich liese sich auch ein Weltstaat denken, bei dem sowohl die vertikale als auch die horizontale Gewaltenteilung verwirklich ist, zum Beispiel wenn er als mehrstufiger Bundesstaat konzipiert ist. Politische Themen auf der Zentralebene mit globaler Bedeutung wären zum Beispiel Klimaschutz, Schutz der Ozeane, Entscheidungen über den Einsatz von Militär bei drohendem Genozid oder Eingreifen bei humanitären Katastrophen. Die deutlichste Gewaltenteilung ist natürlich diejenige, die souveräne Staaten nebeneinanderstellt und von ihnen fordert zu kooperieren wie aktuell in der UNO. Insgesamt gilt es ein System zu finden, daß die Vorteile der Gewaltenteilung und die Vorteile des politischen Zusammenschlusses ausbalanciert. Ein demokratischer europäischer Bundesstaat als eigenständiger Pol in einer multipolaren Welt scheint mir da eine sinnvolle Option (siehe laut wikipedia: Forderung nach Polyzentrismus in der globalen Machtverteilung Reinhold Zippelius: Allgemeine Staatslehre. Politikwissenschaft. 16. Aufl. 2010,  § 31 I 3.)

Für mich persönlich steht und fällt die Frage, ob ich einen solchen Staat gut fände oder nicht  (der eine ganz gut funktionierende Demokratie wie die Bundesrepublik Deutschland ersetzen würde) mit der Möglichkeit wieder zum vorherigen Zustand (status ante) zurückkehren zu können, wenn eine Entwicklung hin zu einer Diktatur nicht verhindert werden konnte (Demokratien fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis langer historischer Prozesse, inbesondere basieren sie auf der Entwicklung von starken Zivilgesellschaften, siehe zum Beispiel “Why nations fail”von Acemoglu und Robinson http://www.amazon.de/Warum-Nationen-scheitern-Urspr%C3%BCnge-Wohlstand/dp/3596195586/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1416142613&sr=1-1&keywords=why+nations+fail).

In der Staatstheorie gibt es den Begriff der Kompetenzkompetenz http://de.wikipedia.org/wiki/Kompetenz-Kompetenz . Die hat derjenige inne, der darüber bestimmen darf, welche staatliche Institution welche Kompetenz bzw Macht hat. In Demokratien ist dies nach meinem Verständnis grundsätzlich das Volk, verstanden nicht als Ethnie, sondern als die Menge der mit einer Staatsbürgerschaft ausgestatteten Bewohner eines Gebietes. Genau hier liegt die Crux. Wäre ein Weltstaat so konzipiert, daß die Kompetenzkompetenz bei allen Menschen dieses Planeten gemeinsam läge, wir uns also in erster Linie als ein Demos verstünden, bestünde die Gefahr, daß sich darunter keine eigenständige demokratische Inseln in einer Diktatur mehr bilden könnten. Würde jeder sich historisch über die Jahrhunderte gebildete Demos in seinem Demos-Sein anerkannt und seine Rechte behalten, könnte er also in Zukunft über seinen Beitritt and Wieder-Austritt aus einer größeren politischen Verband bestimmen, wären bestehende Demokratien besser geschützt. Die Engländer sagen dazu "never put all eggs in one basket".

aktuelle Beispiele

Das Referendum von Schottland ist ein Beispiel dafür, daß Großbritannien als Staat und zwar durch seinen amtierenden Regierungschef David Cameron die innere Stärke und demokratische Qualität besaß, den Bewohnern von Schottland dieses Selbstbestimmungsrecht nicht nehmen zu wollen, sondern das Referendum unterstützte. Diese Stärke bringt derzeit weder Spanien gegenüber einem Referendum der Katalanen auf, noch hat sie die Ukraine gegenüber der Bevölkerung des Donezbeckens aufgebracht. Letztlich basiert nach meiner Vermutung die Kompetenzkompetenz auf der Einstellung der Menschen zur Demokratie und auf ihrer Bereitschaft sich dafür einzusetzen, für sie zu kämpfen und für die politische Freiheit Opfer zu bringen, letztlich auch dafür zu sterben. Auch dies wurde bei der Euromaidanbewegung mit dem Sturz von Janukowytsch in der Ukraine in Kiew 2014 deutlich, aber nach meinem Eindruck auch in der Ostukraine, als sich dort ein starker politischer Wille auf Eigenständigkeit bzw. stärkerer Anbindung an Russland artikulierte.

Ich bin überzeugt eine Demokratie kann nur gedeihen, wenn sie auf einer starken Zivilgesellschaft basiert, das heißt wenn die Menschen sich zahlreich und häufig zu Wort melden und in die Politik, die “öffentliche Sache” einbringen. Im Grundgesetz heißt es “Alle staatliche Gewalt geht vom Volke aus”. Diese Gewalt muss sich ab und zu zeigen, damit die Demokratie am Leben bleibt, dafür genügt die Teilnahme an Wahlen nicht. Die Mitarbeit in Parteien, das Engagement in Nichtregierungsorganisationen, die Beteiligungen an Kampagnen, Demonstrationen und am öffentlichen Diskurs sind deshalb sehr wichtig.

Die Bewohner der DDR haben in ihrer friedlichen Revolution von 1989 deutlich ihre Souveränität ausgedrückt, durch ihr Handeln in Form von Demonstrationen in einer Diktatur und durch ihren Slogan “Wir sind das Volk”. Mit ihrem späteren Slogan “Wir sind ein Volk” wurde nach meinem Eindruck zum Ausdruck gebracht, daß sie sich als Teil eines gemeinsamen Demos verstehen, der nach meiner Einschätzung die Legitimität hat, darüber entscheiden zu können wie es mit Deutschland innerhalb Europas weitergehen soll.

Falls Deutschland an einer Europäischen Verfassung eines europäischen Bundesstaates mitarbeiten würde und diese seiner Bevölkerung in einem Referendum vorlegen würde, die in welcher genauen Form auch immer das Grundgesetz entsprechend Artikel 146 ersetzen würde, wäre dies nur dann möglich, wenn diese künftige europäische Verfassung die Kompetenzkompetenz eindeutig den Deutschen und den anderen europäischen “Völkern” zuweisen würde, und zwar unabänderbar.

Die einzige Alternative zu diesem Vorgehen wäre eine quasi revolutionäre Artikulation eines Europäischen Demos, das so eindeutig ist, dass es sich durch den Akt dieser Artikulation eine europäische Verfassung gibt, analog zur Verfassung nach der französischen Revolution. Dies halte ich aber nur für eine theoretische Möglichkeit, zumindest für die nächsten 50 Jahre.

Übertragen auf den Weltstaat wäre ein solcher zentralistischer Weltstaat, bei dem die Kompetenzkompetenz bei allen Menschen gemeinsam läge nur durch einen revolutionären Akt dieses Weltdemos möglich, der so überzeugend wäre, daß sich tatsächlich darauf ein Weltstaat mit einer Weltverfassung konstituiert und die überwiegende Mehrheit der Menschen, dies für sich auch als angemessen empfinden. Dies halte ich für  unrealistisch.

Sonntag, 14. September 2014

What does Scotlands referendum mean for Europe?

While the FAZ ist looking into the economic risks to Scotland becoming independent http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/risiken-des-referendums-abenteuer-schottische-unabhaengigkeit-13150354.html I think a balanced view should acknowledge that the decision is firstly about how the Scots want to organize themselves politically.  From a European perspective an independent Scotland could and would be part of the European Union. But also if the Scots vote for staying within Great Britain, it is a good practice that these issues are decided by the people themselves and this strengthens the civil power in Europe.

Samstag, 30. August 2014

Leseempfehlung Harry Mulisch

"Die Entdeckung des Himmels" (Original "De ontdekking van de hemel" 1992), was für erste 116 Seiten von über 800.

Ich bin verblüfft, daß ich auf dieses Buch und seinen Autor nicht schon viel früher gestoßen bin, ich dachte große Literatur würde automatisch und schnell seinen Weg zu mir finden ;)

Ich finde diese Seiten großartig, statt einer Begründung 2 Zitate:

Max über Onno zu einem in einem Amsterdamer Restaurant musizierenden Roma im Jahr 1967:

"Sag ihm, daß Zigeuner für mich heilig sind, weil sie das einzige Volk auf Erden sind, das nie einen Krieg geführt hat...Sag ihm, daß sie nur deshalb, weil sie keine Mörder sind, von allen für Diebe gehalten werden, ..."

Zu einer (fiktiven?) Rede von Rudi Dutschke in Amsterdam:"Mit einer theoretischen Raserei, die den praktischen Holländern fremd war, legte er, Marcuse, Rosa Luxemburg und Plechanov zitierend, dar, daß die radikale soziale Veränderung, subjektiv von den Massen nicht gewollt, objektiv gesehen aber immer notwendiger werde. Die spätkapitalistische Arbeiterklasse, noch immer ausgebeutet bis zum Verlust ihrer Identität,..." Ein vermeintlicher Arbeiter erkämpft sich das Mikrofon "und begann mit starrem Blick darzulegen, daß die Jesuiten unter den Straßen und Plätzen Amsterdams ein unterirdisches Netzwerk von Gängen angelegt hätten, um von da aus eines Tages erbarmungslos zuzuschlagen. Unzählige Briefe habe er geschrieben, an die Regierung, an die Königin....Wieder stand jemand auf im Saal und rief >>Ach hör doch auf mit dem Unsinn<<...Der übermässig dicke, kahle Zwischenrufer, ein bekannter Restaurator, wandte sich mit ausgesteckten Armen an das Publikum, das ihn jubelnd anfeuerte >>Was sollen wir denn mit diesem Quatsch? Das weiß doch jeder, daß Amsterdam das zweite Jerusalem ist: begnadet mit der verschärften hyperbiogeometrischen Ethik Dantes, Goethes und Königin Esthers mit ihren sechsundreisig Essenern und sechsundreissig Zaddikim und der neuen, alles erneuernden messianisch-pythagoräischen Weltmathematik, der Urmathematik, der Allwissenheit der Vorwelt, als Auslegung des Alten und des Neuen Testaments, und zwar der neuen jüdischen Harmoniegesetze der Primzahlen und Primzahlenzwillinge Moses, Davids und Salomons, die neue Bio-Algebra, Bio-Geometrie und Bio-Gleichgewichtslehre von Willem de Zwijger, Spinoza, Erasmus, Simon Stevin, Christiaan Huygens, Descartes und Rembrandt und die neue bildende Mathematik von Teilhard de Chardin, Mondrian, Steiner, Thomas von Aquin, Mersenne, Fermat, Aristoteles, Nikolaus Cusanus, Wittgenstein, Weinreb-<< Aber er bekam nicht die Gelegenheit, seine Liste abzuschließen: hinten im Saal flog plötzlich dieTür auf ..."

Samstag, 2. August 2014

Leseempfehlung

Ich hab im Urlaub ein sehr schönes Buch entdeckt: Die Berlinreise von Hanns-Josef Ortheil

Der Autor http://de.wikipedia.org/wiki/Ortheil

hat es 1964 im Alter von 12 (!) Jahren geschrieben und beschreibt darin eine Reise mit seinem Vater ins geteilte Berlin, bei der der Junge seinem Vatar sehr behutsam hilft, dessen Kriegstraumata und die seiner Mutter in die Gegenwart zu holen. Es ist stellenweise sehr lustig und sehr traurig und zeigt den ganzen Wahnsinn von Kriegen, ist aber auch voller origineller Beobachtungen Berlins und überrascht immer wieder durch einen uns Erwachsenenen so oft abhanden gekommenen Blick für einfache Schönheiten und Wahrheiten.

Ähnlich spannend fand ich eigentlich nur die Autobiographie von Joachim Fest "Ich nicht", die meistes ebenfalls im Berlin zur Zeit des Nationalsozialismus spielt und in dem ebenfalls ein widerständiger Vater eine große Rolle spielt, siehe http://de.wikipedia.org/wiki/Joachim_Fest#Werke

Dienstag, 15. Juli 2014

Aktueller Diskussionsbeitrag zur Europäischen Föderation

Anlässlich eines Videos von Dr. Karl Pitz zur Europa-Strategie der AfD https://www.youtube.com/watch?v=_YT0G5vHqlg&feature=youtu.be habe ich auf der Mailingliste der AG Europa der Piratenpartei Deutschland https://wiki.piratenpartei.de/AG_Europa/Mitmachen geschrieben:


Hallo Karl,

ich kann das Video nachvollziehen. Die beiden Europa-Strategie-Stränge der AfD, zurück nach 1957 bzw. hin zu einer demokratischen europäischen Föderation sind möglicherweise 2 Flügeln zuzuordnen, einem nationalkonservativen Flügel und einem liberalen Bürgerrechts-Flügel. Ich denke Du triffst den Nagel auf den Kopf mit Deiner Analyse, daß die globalen Machtstrukturen bei der Formulierung von Lösungen zu berücksichtigen sind. Die neusten NSA-Spionageenthüllungen zeigen wieder einmal, wie unverfrohren die USA eigene Interessen jenseits partnerschaftlicher Politik verfolgen und bringen selbst Merkel mittlerweile dazu, moderat gegenzuhalten.
 
Vor kurzem ist in der FAZ (leider nicht online) ein Artikel des italienischen Schriftstellers Claudio Magris erschienen, der diesem Ansatz einer demokratischen europäischen Föderation imo nahe kommt und dies gut geistesgeschichtlich begründet. Die Idee eines eigenständigen europäischen demokratischen Machtpols, der in dem Maße europaweit vereint ist indem es bereits eine europäische Zivilgesellschaft gibt (siehe Acemoglu/Robinson "Why nations fail" http://www.amazon.de/Warum-Nationen-scheitern-Urspr%C3%BCnge-Wohlstand-ebook/dp/B00AEK7WXE/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1405438934&sr=8-1&keywords=acemoglu) und genug Raum für nationale und regionale Eigenständigkeit lässt in dem Maße indem die Leute sich lieber national/regional organisieren wollen und der darauf vertraut, daß die Leute da eine gute Mischung finden, ist eigentlich so naheliegend, daß ich sicher bin, daß das europaweit mehrheitsfähig bei den Bürgern ist. Ein solcher europäischer Machtpol könnte besser als die Nationalstaaten sich für den Schutz der Bürger vor staatlicher Überwachung und kommerzieller Ausspähung einsetzen, könnte mit einer sozialen und nachhaltigen Marktwirtschaft ein globale Vorreiterrolle spielen, ganz abgesehen von seiner Vorbildfunktion in punkto Demokratie, Gewaltenteilung, Pressefreiheit, Einsatz für Netzneutralität, Schutz der Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit.
 
Und für alle Weltstaatsanhänger, das müsste keine Festung Europa sein, sondern wäre kompatibel mit einer partnerschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit mit allen anderen Weltregionen und einer humanen Asyl-und Einwanderungspolitik.
 
Man kann sich jetzt fragen, ob die USA daran Interesse hat oder eher nicht, ich vermute letzteres ;) Und auch Großbritannien wird sich mittelfristig hier wohl maximal mit einem Bein beteiligen wollen, weil es historisch sich stärker dem angloamerikanischen Raum mit USA, Kanada, Australien und Neuseeland verbunden fühlt. Aber auch dafür liese sich wohl eine Lösung finden....
 
Man kann sich auch fragen wer diese Vision teilt und bereit ist daran mitzuarbeiten. Nach meiner Einschätzung ist die Vision mehrheitsfähig bei den Piraten in Europa und weltweit und auch alle demokratischen europäischen  Parteien der Grünen, Liberalen, Sozialdemokraten, Linken und Christdemokraten aber auch Bewegungen wie 5 Stelle in Italien könnten mittelfristig darauf einschwenken.

Mittwoch, 18. Juni 2014

rechtliche Betreuung von der Politik seit Jahren vernachlässigt und unterfinanziert

Als rechtlicher Betreuer möchte ich hiermit auf aktuellen Mißstände im Betreuungswesen in Deutschland aufmerksam machen.

Rechtliche Betreuung ist die Besorgung von Rechtsgeschäften für Menschen mit einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung, die im Bürgerlichen Gesetzbuch geregelt ist. Dazu zählen Entscheidungen im gesundheitlichen Bereich zu Operationen und zu intensivmedizinischen lebensverlängernden Maßnahmen, die Vertretuung gegenüber Sozialbehörden, der Hartz IV-Behörde,  Vermietern, Kranken-und Pflegekassen, der GEZ und Trägern der Behindertenhilfe und Seniorenheimen, die Organisation und Kontrolle von Pflegediensten oder die Regelung von Finanz-,  Vermögens- und Schuldenangelegenheiten. In vielen Fällen leisten dies Angehörige ehrenamtlich. In schwierigen Fällen oder wenn sich keine ehrenamtliche Person finden lässt, leisten dies selbständige vom Gericht kontrollierte Berufsbetreuer, die von kommunalen Fachbehörden nach Eignung und Kenntnissen ausgewählt und begleitet werden.

Da Menschen immer älter werden und der Anteil der an Demenz Erkrankten in der Altersgruppe über 80 Jahre gleich blieb, stieg in den letzten Jahren der Bedarf rechtlicher Betreuungen Jahr für Jahr. Dadurch stiegen die Kosten für berufsmäßig geführte Betreuungen, die bis auf Klienten mit eigenem Vermögen aus den Haushalten der Bundesländer bezahlt werden. Die Politik versuchte diese Kostensteigerung zu deckeln, indem sie

1. einen äußerst knapp bemessene Zeitpauschale einführte,
2. einen Stundensatz vorgab, der viel niedriger angesetzt war, als dass er für eine qualitativ angemessene Arbeit in oft sehr anspruchsvollen Situationen angemessen war und
3. den Stundensatz über einen sehr langen Zeitraum nicht an die allgemeine Lohnentwicklung anpasste.

Im Ergebnis führte das dazu, daß rechtliche Betreuer/innen ihre Klienten nicht mehr ausreichend gut betreuen können, da sie ihr Zeitbudget nur noch für die allerwichtigsten Dinge einsetzen können. Da Verwaltungstätigkeiten oft nicht vermeidbar sind, müssen deshalb oft die persönlichen Besuche stark eingeschränkt werden. Auskömmlich leben können Berufsbetreuer in der Regel nicht mehr, der Aufbau einer Altersvorsorge ist oft nicht mehr möglich. Manche Berufsbetreuer powern sich über Jahre aus, indem sie mehr Betreuungen übernehmen, als sie eigentlich leisten können und scheiden irgendwann mit einem Burn-Out aus. Andere bescheiden sich mit einem unangemessenen Lebensunterhalt und verzichten auf eine Altersvorsorge. Die Betreuten selbst sind aufgrund ihrer Behinderung das schwächste Glied in der Kette und haben die geringste Chance auf ihren Bedarf an einer angemessenen Betreuung gegenüber der Öffentlichkeit hinzuweisen oder noch als zu berücksichtigende Wählergruppe von Politikern ernst genommen zu werden.

Es gibt einen Berufsverband der Berufsbetreuer, bdb e.V., der versucht auf diese Mißstände gegenüber Politikern auf Bundes- und Länderebene hinzuweisen. Außer allgemeinen Lippenbekenntnissen über die Wichtigkeit von rechtlicher Betreuung kam von der Politik aber keine Unterstützung. Anders als zum Beispiel die Ärtzetlobby sind Berufsbetreuer nur eine vergleichsweise kleine Gruppe, die man aus Politikersicht als Wählergruppe vernachlässigen kann und die Mißstände sind schwer zu kommunizieren, sodaß sich hier kaum zivilgesellschaftlicher Druck aufbaut. Während Ärzte in Krankenhäusern schon mal streiken und Praxen schließen, hätte es kaum eine in der Öffentlichkeit bemerkbare Wirkung, wenn rechtliche Betreuer Angelegenheiten ihrer Klienten nicht mehr bearbeiten.

Ich arbeite seit 14 Jahren als Berufsbetreuer mit einer Ausbildung als Diplom-Betriebswirt (FH) , weil ich in diesem Beruf für andere Menschen meine Qualitäten als Notfallmanager sehr gut einbringen kann, sehr viel Dankbarkeit von meinen Klienten erfahre und meinen Beruf als Berufung erlebe. Ich weiß nicht, was man tun kann, um an den Mißständen etwas zu ändern, außer auf sie aufmerksam zu machen.